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Kommunaler Aktionsplan Inklusion geht in die Umsetzung

Würzburg – Ein buntes Rahmenprogramm auf dem Unteren Markt, ein Festakt im Ratssaal des Würzburger Rathauses und anschließend ein Rockkonzert im Innenhof – ist das nicht ein bisschen viel Tamtam anlässlich der Verabschiedung eines Kommunalen Aktionsplans zur Inklusion?

Betrifft doch glücklicher Weise ohnehin nur einige wenige Menschen, oder? Solche Vorurteile sollte man natürlich niemanden unterstellen, aber ist wirklich Allgemeingut, wie viele Menschen beispielsweise von einer besseren Barrierefreiheit im öffentlichen Raum profitieren?

Rund 12.000 Würzburger haben einen Behindertenausweis

Rund 12.000 Menschen haben in Würzburg einen Ausweis, der ihnen 50 % oder einen höheren Grad der Behinderung bestätigt. Viele von ihnen leiden erst im Alter unter einer chronischen Erkrankung, andere sind von Geburt an blind, auf einen Rollstuhl angewiesen oder geistig behindert. Hinzu kommen Würzburgerinnen und Würzburger, die keinen Ausweis beantragt haben, obwohl sie sich schon lange mit einem oder mehreren Leiden quälen. Und natürlich sollte man auch an alle denken, denen zumindest zeitweise viele Dinge und Gänge schwerfallen: in den letzten Wochen der Schwangerschaft, mit dem Kinderwagen, aufgrund einer Sportverletzung, beladen mit schweren Einkäufen, womöglich auch bei der Orientierung in einer fremden Stadt, angewiesen auf eine fremde Sprache.

Viele Nutznießer

Der Kommunale Aktionsplan Inklusion hat also viele Nutznießer, wenn es nun nach und nach an die Abarbeitung von rund 180 konkreten Maßnahmen auf sechs Handlungsfeldern geht. Es galt für die kommunale Ebene auszuformulieren, wie die UN-Konvention über die Rechte von Menschern mit Behinderungen in Würzburg mit Leben gefüllt werden kann. „Vom Reagieren zum Agieren kommen“, nennt dies Harald Ebert. Der Ombudsrat war Mitglied des Begleitgremiums zur Erarbeitung des Plans. In zwei Jahren gab es sechs Bürgerwerkstätten zu den Handlungsfeldern „Erziehung und Bildung“, „Arbeit und Beschäftigung“, „Bauen und Wohnen“, „Mobilität“, „Kultur-Freizeit-Sport“ und „soziale und politische Teilhabe“. Die Ergebnisse der Bürgerwerkstätten mit bis zu 120 Teilnehmern wurden in den Sitzungen der Lenkungsgruppe und eben des besagten Begleitgremiums mit 31 lokalen Experten weiter strukturiert.

Großer Andrang: Beim Festakt für den Kommunalen Aktionsplan Inklusion mit der Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung Irmgard Badura und Oberbürgermeister Christian Schuchardt herrschte großer Andrang mit Ratssaal. (Foto: Georg Wagenbrenner)
Großer Andrang: Beim Festakt für den Kommunalen Aktionsplan Inklusion mit der Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung Irmgard Badura und Oberbürgermeister Christian Schuchardt herrschte großer Andrang mit Ratssaal. (Foto: Georg Wagenbrenner)

Nun liegt ein über 230 Seiten starkes Papier vor, von dem der Behindertenbeauftragte Karl-Heinz Marx sagt: „Man merkt, dass nicht nur Funktionäre daran gearbeitet haben. Es flossen auch viele persönliche Erfahrungen mit ein.“ Sozialreferent Robert Scheller ergänzt: „Und wir haben auch themenspezifisch die Zielgruppen erreicht. Beim Bürgerworkshop zur Mobilität kamen wir mit Taxifahrern ins Gespräch und bei der Bildung mit den Lehrern.“

Natürlich waren nicht nur behinderte Menschen aufgefordert mitzumachen, aber auch für sie brachten die Runden viele neue Erkenntnisse. Roland Franz war in beiden Gremien und stellte fest: „Mir als blinden Menschen sind nun auch die Probleme von Hörbehinderten viel bewusster.“ Konkretes Beispiel: Gebärdendolmetscher sind bei öffentlichen Veranstaltungen in Würzburg immer noch die absolute Ausnahme. Übersetzer werden grundsätzlich selten engagiert, aber man muss leider auch feststellen, dass nur wenige Profis in Würzburg diese Dienste überhaupt anbieten. Muss aber auch noch die Anreise aus Nürnberg mitgezahlt werden, macht dies den Service für einen Veranstalter noch teurer und die Entscheidung fällt entsprechend häufiger negativ aus. Hier möchte man nun beispielsweise einen kleinen Teufelskreis durchbrechen. Ebenso denkt man über die Einrichtung eines Übersetzungsbüros für „Leichte Sprache“ nach. Man kann auch durch Fremdwörter oder einen komplizierten Satzbau viele Menschen von Informationen ausgrenzen, nicht nur durch Stufen oder fehlende Induktionsanlagen in Gebäuden.

Kommunaler Aktionsplan ist kein „Wünsch Dir Was“

Michael Gerr, als Stadtrat und Behindertenbeiratsmitglied ebenfalls eingebunden, verdeutlichte bei der Pressekonferenz vor dem Festakt, dass man die Aktionsplan-Erarbeitung keinesfalls als „Wünsch Dir Was“ begriffen habe. Es gebe zahlreiche Projekte, wie beispielsweise die barrierefreie Umrüstung der rund 580 Haltestellen im Stadtgebiet, wo auch zehn Jahre ein sehr ambitionierter Zeitplan wären. Aktuell sind 200 Zugänge in Bus und Straßenbahn barrierefrei. Bei den Anlegestellen der Ausflugsschiffe steht man hingegen leider immer noch bei Null, macht Evi Gerhard vom Behindertenbeirat darauf aufmerksam, dass nicht auf jedem Feld schon in der Vergangenheit Fortschritte erzielt wurden.

Der Aktionsplan ist zuallererst auch eine kritische Bestandsaufnahme. Die externen Fachbüros AfA und SAGS arbeiteten zahlreiche Statistiken ein, die nun aufzeigen, wo der Schuh besonders drückt und welche Zeitschienen realistisch sind. Prioritätenlisten fehlen nicht und auch die Zuständigkeiten sind stets klar benannt. Für Dr. Ebert war eine positive Erfahrung in den vergangenen zwei Jahren, dass sich gerade bei der Frage nach dem „Wer“ nicht gleich alle wegduckten, sondern die Kommune immer wieder deutlich gemacht hat: „Da fühlen wir uns jetzt erst einmal zuständig!“ – parallel zu den Aktionsplänen auf Bundes- und Landesebene entstand in Würzburg also ein engmaschiges Netz. „Viele weitere Kommunen in Bayern werden sich unsere Pionierarbeit sehr genau ansehen“, ist sich Jutta Behr sicher, die in der Beratungsstelle für Senioren und Menschen mit Behinderung ein Großteil der organisatorischen Arbeit stemmte.

Festakt für den Plan

Wenn das mal alles keine guten Gründe für ein großes Fest sind: Beim Festakt sprach Oberbürgermeister Christian Schuchardt von „einem historischen Tag“ und er dankte den vielen Mitwirkenden am Werk, das allen Würzburgerinnen und Würzburgern eine möglichst selbstbestimmte und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll. In der neuen Wahlperiode des Stadtrats werde die Abarbeitung der Handlungsempfehlungen einen hohen Stellenwert einnehmen. Auch Irmgard Badura, die Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, beglückwünschte die Stadt zum Aktionsplan: „Dieser darf nun nicht stehen bleiben, sondern er muss mit der Bevölkerung und ihren Herausforderungen mitwachsen.“ Nach vielen Reden war dann wieder Zeit für Gesang und Gitarren. Die Inklusionsband „Mosaik“ der Mainfränkischen Werkstätten übernahm mit einem energiegeladenen Konzert den Schlussakkord: sozusagen ein Ständchen zur Geburtsstunde des Aktionsplans nach einem interfraktionellen Stadtrats-Antrag im Jahr 2011.

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