Jahresschlusssitzung des Stadtrats: Über Engel im Sinne Kants -  wuerzburg24.com

Jahresschlusssitzung des Stadtrats: Über Engel im Sinne Kants

Würzburg – Die letzte Sitzung des Würzburger Stadtrates im Kalenderjahr ist traditionell eine feierliche Veranstaltung mit bilanzierenden Redebeiträgen durch den Regierungspräsidenten und den Oberbürgermeister. Im Jahr 2018 in zweierlei Weise etwas Besonderes.

Paul Beinhofer bilanzierte bei seinem letzten Gastauftritt am Rednerpult des Ratssaals naturgemäß nicht nur über die letzten zwölf Monate und Christian Schuchardt löste sich in diesem Jahr komplett von den kommunalpolitischen Tagesthemen und hatte einige demokratierelevante Überlegungen als vorweihnachtliche Denkanstöße mitgebracht.

Kant diente Schuchardt als Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung über Populismus, Volksparteienverdrossenheit und Egoismen in der Politik: „Ist Demokratie zum Scheitern verurteilt, weil wir Menschen sind und keine Engel? Ich bin im Gegenteil der Überzeugung: der demokratische Rechtsstaat ist die beste Staatsform, und dies auch deshalb, weil er der Unvollkommenheit der menschlichen Natur am angemessensten Rechnung trägt“, gab ein nachdenklicher Schuchardt die Richtung vor und beschrieb diese Unvollkommenheit in vielen Beispielen.

Wenn Menschen beim Medienkonsum in einer riesigen Informationsflut ihre „eigenen Programmdirektoren“ sind, oder sich nicht mehr aus der individuellen Echokammer im Internet herauswagen, dann litte letztlich die Mündigkeit und die Kompromissbereitschaft. Dann würden mehrere Wahrheiten und nicht etwa mehrere Lösungsvorschläge für ein gemeinsam erkanntes Problem in Konkurrenz treten: „Eine plurale Gesellschaft braucht einen Konsens über grundlegende Werte, einen Wertevorat.

Und über Regeln, unter denen der Konflikt der verschiedenen Interessen ausgetragen wird. Dazu gehört, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, auch wenn sie den eigenen Interessen zuwiderlaufen.“ Oder in den Worten des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel, den Schuchardt zitierte: „Die Summe der Einzelinteressen ergibt nicht Gemeinwohl, sondern Chaos“. Mit dieser Risikoeinschätzung wollte Schuchardt aber nicht enden, sondern vielmehr mit einem Appell: „Wir wollen eine neue Kultur der Wertschätzung in unserer Gesellschaft! Wir wollen, dass auch die gewählten Volksvertreter mit Respekt behandelt werden! Wir wollen, dass politisches Engagement die Anerkennung erfährt, die es verdient und auch benötigt, damit die unverzichtbare Bereitschaft, sich für das Gemeinwesen einzusetzen nicht noch weiter abnimmt!“ Der Oberbürgermeister verwies an diesem Abend der politischen Philosophen zuletzt auf Hannah Arendts Ausspruch „Der Sinn der Politik ist die Freiheit.“ – um zu ergänzen: „Lassen Sie uns dafür Politik machen!“

Zum letzten Mal ließ Regierungspräsident Paul Beinhofer, der am morgigen Freitag in Ruhestand geht, die vergangenen Jahre in Würzburg Revue passieren. „Dass ich Jahr für Jahr zum Jahreswechsel zu Ihnen sprechen konnte, war für mich stets eine Ehre, aber auch eine Bestätigung dafür, dass meine Worte bei ihnen Gehör finden“, freute sich der scheidende Regierungspräsident. „Würzburg hat sich in den Jahren seit der Jahrtausendwende in vielen Bereichen sichtbar entwickelt“, so Beinhofer.

Mit den vielerorts wahrnehmbaren Veränderungen ist die Stadt moderner und attraktiver. Dazu gehören unter anderem die Sanierung des Alten Hafens, der Aus-bau des Zeller Bocks sowie die Neugestaltungen der Oberen Juliuspromenade mit Barbarossa- und Dominikanerplatz, des Unteren Marktes sowie der Eichhorn- und Spiegelstraße. Dazu komme die Entwicklung der Stadt als Standort für Wissenschaft und Forschung oder die Fortentwicklung des kulturellen Bereichs.

„Würzburg ist heute eine andere Stadt als vor 20 Jahren. Das Gesicht Würzburgs ist an vielen Stellen ein Anderes. Würzburg hat sich – eingebettet in das von Weinbergen geprägte Maintal – zu einer weltoffenen Großstadt weiter entwickelt, in der man sich weiterhin wohl fühlen und gut leben kann. Dabei ist es gelungen, Tradition und Fortschritt miteinander in Einklang zu bringen“, betont der Regierungspräsident: „Was also wollen wir mehr?“

Doch trotz dieser Erfolge seien viele Menschen unzufrieden und populistisch einge-stellt. Um dem Populismus entgegen zu treten, müsse die Politik die Menschen wie-der ansprechen, sie in ihrer Sprache erreichen, in ihrer Lebenswelt abholen und anerkennen und die entstandene Distanz zwischen etablierter Politik und ihren Bürgern verringern, unterstreicht Beinhofer das Ergebnis einer Studie. Wichtig sei hier eine funktionierende offene Stadtgesellschaft, die die Bürgerinnen und Bürger über mentale Grenzen hinweg erreicht und in Dialog treten lässt. Hier habe Würzburg mit seinem vielfältigen Vereinsleben und Initiativen einiges zu bieten.

Musikalisch umrahmte den Abend das Quartett Klez`Amore mit Stücken aus Italien, Frankreich und Spanien. Das städtische Kasino verwöhnte die Gäste im Wappensaal mit dem letzten feinen Catering des Jahres.

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