Würzburg – Was muss sich ändern, damit Gier, Neid und Habsucht nicht die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstören? Darüber sprach der Wirtschaftswissenschaftler Ronald Bogaschewsky bei der jüngsten Ausgabe der Schüler-Uni.
Klimakatastrophe, Umweltzerstörung, Ressourcenvernichtung, Ausbeutung, Hunger, Terror, Krieg – in einem Vortrag von knapp 45 Minuten. Und da soll man sich nicht die Laune verderben lassen? Nein, soll man nicht, sagt Ronald Bogaschewsky. Seine Zuhörer – rund 600 Schüler aus unterfränkischen Gymnasien – sollten seinen Parforceritt durch die Probleme der Zeit vielmehr als Ansporn verstehen, als Aufruf, sich um diese Probleme zu kümmern und aufzuräumen.
Ronald Bogaschewsky ist Inhaber des Lehrstuhls für BWL und Industriebetriebslehre der Universität Würzburg. Am vergangenen Donnerstag war er Dozent bei der Schüler-Uni. Zu dieser Veranstaltung lädt die Uni seit 2010 zwei Mal im Jahr Schulklassen ihrer Partnergymnasien aus Unterfranken und der angrenzender Gebiete ein. Die Schüler bekommen an einem Vormittag zwei Vorträge von je 45 Minuten Dauer geboten, jeweils einen aus den Natur-, den anderen aus den Geistes-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften. Bogaschewskys Vortrag stand unter der Überschrift: „Wie viel ist genug? – Der grenzenlose Ressourcenhunger unserer Welt“.
Die Welt ist in Arm und Reich gespalten
Wenig schmeichelhaft war das Bild, das der Wirtschaftswissenschaftler von der heutigen Gesellschaft zeichnete. Auf der einen Seite bestimmen Gier, Neid und Habsucht nach seinen Worten das Leben vieler Menschen. „Da geht es nur darum: Wer hat den größten Brillanten am Finger, das meiste Gold im Safe und die längste Yacht im Hafen“, so Bogaschewsky.
Dafür seien auf der anderen Seite Hunger und Elend groß und bereiten so den Boden für Terrororganisationen wie Islamischer Staat und Boko Haram. Die Konsequenzen dieser Spaltung in Arm und Reich sind auch in Deutschland sichtbar: Wenn Fangflotten der EU die Fischbestände vor Afrikas Küsten dezimieren und die Netze der einheimischen Fischer leer bleiben; wenn die EU hier den Tomatenanbau mit Millionen subventioniert, die Überschüsse dann nach Afrika transportiert und damit die dortigen Märkte ruiniert: „Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn immer mehr Afrikaner in überfüllte Boote steigen und Asyl in Europa suchen“, so Bogaschewsky.
Wer „die Bösen“ sind
Zustände, die an „Die Tribute von Panem“ erinnern, zog Bogaschewsky einen, seinem jugendlichen Publikum angemessenen Vergleich. In der Romantrilogie stehen sich ebenfalls zwei Gesellschaften gegenüber: Im Kapitol, der Hauptstadt von Panem, leben die reichsten Bürger in dekadentem Luxus; die anderen, die Bewohner der Distrikte, werden von ihnen brutal ausgebeutet und sind ihnen schutzlos ausgeliefert. Stellt sich nur die Frage: „Ist unser westliches System etwa Teil des ‚Kapitols‘? Sind wir am Ende die Bösen?“.
45 Minuten hatte der Wirtschaftswissenschaftler Zeit, sein ungeschöntes Bild von der Erde zu zeichnen. Das reicht nur knapp für die wichtigsten Punkte. Wenn ein Investmentbanker so viel verdient wie 55 Lehrer: „Das kann doch nicht wahr sein; das sind doch Missverhältnisse!“ Wenn im Jahr 2016 ein Prozent der Weltbevölkerung mehr besitzen wird als der Rest zusammen, sei es nur eine Frage der Zeit, bis dieser „Rest“ sich das nicht mehr gefallen lässt. „Irgendwann stehen die vor unserer Haustüre!“ Ähnliches gilt für die Situation in Deutschland: „Die fünf reichsten Deutschen besitzen so viel, wie 40 Prozent der Bevölkerung“, rechnete Bogaschewsky seinem Publikum vor. Ihnen steht eine steigende Zahl von Hartz-IV-Empfängern gegenüber, die nicht wissen, wie sie davon ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Ein guter Nährboden für radikale Parteien seien solche Verhältnisse – wie Deutschland aus der eigenen Geschichte wissen müsste.
Lange Liste der Missstände
„Wie viel brauchen wir wovon? Und was machen wir mit dem, was wir haben?“ Auf diese Fragen müsse die Menschheit dringend nach Antworten suchen, wenn sie allen ein verträgliches Leben ermöglichen möchte, so Bogaschewsky. Denn so, wie es momentan auf der Erde zugeht, könne es nicht mehr lange weitergehen. Ein paar Beispiele gefällig?
Bogaschewskys Liste war lang:
Täglich verhungern 10.000 Kinder; nicht, weil es an Nahrung fehlen würde, sondern weil die Verteilung nicht klappt. Wenn der Regenwald in großem Stil brandgerodet wird, um Platz zu machen für Sojaanbau und Palmölplantagen, hat das nicht nur dramatische Folgen für das Klima; der Raubbau zieht auch einen massiven Verlust an Biodiversität nach sich. Bleibt es bei den derzeitigen Fangquoten, sind die Meere in 50 Jahren leer gefischt.
Wichtige Rohstoffe, die für Innovation und Technik unerlässlich sind, werden in 40 bis 50 Jahren zur Neige gehen. Kurz und schlecht: „Bei unserem derzeitigen Ressourcenverbrauch bräuchten wir eigentlich 1,5 Erden. Und im Jahr 2030 gleich zwei davon“, so Bogaschewsky.
Brutaler Umgang mit Arbeitskräften
Die Menschheit beutet allerdings nicht nur die Umwelt aus; der „brutale Umgang mit Arbeitskräften“ zählt ebenfalls zu ihren Markenzeichen. Bei der Lederproduktion in Bangladesh, wo Menschen auf Müllhalden leben; im Bergbau in Bolivien, wo die Schächte so niedrig sind, das nur Kinder zum Einsatz kommen können; beim Abbau von Coltan im Kongo, wo die Arbeiter den Rohstoff teilweise mit ihren Händen aus der Erde holen – Beispiele für diese rücksichtlose Ausbeutung finden sich mehr als genug. „Das kann man auch anders machen. Aber dann zahlen Sie einen höheren Preis für Ihr neues Smartphone oder die Tafel Schokolade“, so Bogaschewsky.
Was also tun, damit es mit der Menschheit und der Erde nicht komplett den Bach hinab geht? Die Meinung, der Markt werde es schon regeln, teilt Bogaschewsky nicht: „Das funktioniert nicht mehr!“ Werden sich also, wie in den Tributen von Panem, die Distrikte gegen das Kapitol erheben – und sind wir dann das Kapitol? Soweit muss es nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers nicht kommen. Am Ende seines faktenreichen Vortrags hat er ein paar Vorschläge parat, wie sich der Aufstand – oder der Untergang – noch verhindern lassen. Die zentralen Punkte: Soziale Marktwirtschaft, fairer Freihandel, Nachhaltigkeit und eine Finanztransaktionssteuer.
Ein Appell zum Schluss
Und an seine jugendlichen Zuhörer richtete Bogaschewsky die Mahnung: „Geldverdienen ist kein Selbstzweck. Gier wirkt zerstörerisch“. Sein Appell lautete deshalb: „Mehr Lebensqualität, weniger Quantität“.
Wie der Vortrag bei den Schüler ankam? Trotz des ernsten Themas fielen ihre Urteile überwiegend positiv aus. „Der Vortrag war sehr interessant. Nur die Lösungsvorschläge hätten gerne länger sein dürfen“, sagte beispielsweise Nicolas aus dem Würzburger Röntgen-Gymnasium. Laura und Paula, ebenfalls vom Röntgen-Gymnasium, hat der Vortrag gezeigt, „dass auch wir verantwortlich für die Missstände in anderen Ländern sind“. Nico, Jonas und Tim, waren aus Erlenbach angereist.
Die Schüler des Hermann-Staudinger-Gymnasiums fanden das Thema Wirtschaft „total interessant“. „Wenn man über die Armut in der Welt redet, denkt man meistens, dass man eh nichts daran ändern kann. Aber jetzt hat uns der erste Besuch bei der Schüleruni eine neue Perspektive eröffnet“, sagten sie.
Mit einem ganz anderen Thema beschäftigte sich der zweite Vortrag im Rahmen der Schüler-Uni. Darin stellte Professor Robert Luxenhofer, Inhaber des Lehrstuhls für Chemische Technologie der Materialsynthese Nanomedizin vor und ging der Frage nach, ob es sich dabei um Medikamente der Zukunft oder um einen Hype handelt.